I: Carola Czempik und Matthias Körner begegnen sich zum dritten Mal in einer Ausstellung – 2021 waren beide Künstler in dem Ausstellungsprojekt
Landeinwärts im Brandenburger Landtag vertreten. 2024 lud der Cottbuser Künstler Matthias Körner seine Künstlerkollegin Carola Czempik aus Glienicke
ein, Teil der Ausstellung Zuspiel- Dialoge wahlweise zu sein. Aus dieser ersten künstlerischen Kommunikation und Zusammenarbeit in der Kunsthalle
Brennabor ist die Idee für ein größeres gemeinsames Ausstellungsprojekt entstanden, dass unter dem Titel Umkreisungen heute eröffnet wird.
Der Ausstellungstitel Umkreisungen lässt sich sowohl in einer poetischen als auch in einer künstlerischen Dimension lesen und erlaubt unmittelbar
verschiedene Assoziationen: Es geht um Bewegung und Annäherung, Offenheit und Vieldeutigkeit, Nähe und Distanz: Umkreisungen verstanden als eine
kreisende Bewegung um ein Zentrum, ohne es direkt zu berühren, kann darauf verweisen, dass sich die Kunst in dieser Ausstellung einem Thema annähert –
nicht direkt, sondern in metaphorischen oder assoziativen Bahnen. Dabei entsteht Raum für Interpretation und Reflexion. Der Titel kann ebenso in einem
philosophischen Sinne verstanden werden – das ständige Kreisen um Wahrheit, Identität oder Emotionen, ohne sie endgültig zu fassen.
Das Motiv des Umkreisens beschreibt auch die Dynamik des künstlerischen Schaffensprozesses. Künstler*innen nähern sich ihrem Thema oft schrittweise
an, erforschen es aus unterschiedlichen Perspektiven, ergründen die Beziehung
zwischen Innen und Außen, Zentrum und Peripherie und versuchen die Balance zwischen Fokussierung und Offenheit zu finden.

II: Die künstlerischen Dialoge zwischen Matthias Körner und Carola Czempik kreisen um Themen der Erinnerung, des Vergessens, komplementären und
individuellen menschlichen Erfahrungen. Sie arbeiten in fast den gleichen Medien, aber doch sehr unterschiedlich _ in dieser Ausstellung treten ihre
Werke in eine Form von ergänzender Zwiesprache. Sie thematisieren das Gedächtnis, das Bewahren und das Verarbeiten von visuellen Erinnerungen und
persönlichen Erinnerungsbildern!
Matthias Körner lässt in seinen Arbeiten oft die narrative Ebene hinter sich und fokussiert sich auf geradezu poetische abstrakte Darstellungen von Bildinhalten,
die dem Betrachter eine freie Interpretation erlauben. Carola Czempik hingegen integriert bewusst narrative Elemente in ihre Werke und lässt gleichzeitig Raum
für eine bildliche Abstraktion. Der Dialog zwischen beiden Künstlern erstreckt sich über den „Raum“ zwischen den Werken.

III: Im Zentrum der künstlerischen Praxis von Carola Czempik steht der dialogische Prozess zwischen den Materialien _ den künstlerischen und den
inhaltlichen. Die Transformation von Steinen und Mineralien zu Pigmenten, das
Arbeiten mit Salzlasuren und die Verwendung von Wachs, Acryl, stofflichen Materialien – sind nicht bloße technische Mittel, sondern
antizipieren ihre Wahrnehmung, als prozesshafte ästhetische Materialität. Carola Czempik untersucht die Metamorphosen von thematischen Stoffen in
einem Spannungsfeld von Entfremdung und Transformation, sie ist als Künstlerin in einem kontinuierlichen Prozess des Suchens und Findens, fast ein
wenig alchemistisch und visuell poetisch gleichermaßen. Ihre Arbeiten – Malerei, Papierarbeiten, plastische Installationen, werden zu Metaphern für das
Vergehen, das Wachsen und die Kontinuität der Geschichte. Feinsinnig verhandelt Carola Czempik in einer Reihe ihrer malerischen und
installativen Werke historische und gesellschaftliche Traumata, in dieser Ausstellung in Auseinandersetzung mit den Verbrechen der NS- „Euthanasie“
und der Shoah, beispielsweise in der 121-teiligen Gedenkarbeit „Nachtigallenblut“, 2024. Die Shoah und ihre nachwirkenden Wunden, die Erfahrungen von Verlust,
Schmerz und die Erinnerung an das Grauen der nationalsozialistischen Geschichte reflektiert Carola Czempik in ihrem Oeuvre wieder und wieder, Schicht für Schicht.
Der Künstlerin gelingt es, Empathie und Reflexion in ihren Arbeiten zu konzentrieren, Ihre Werke verlieren sich nicht in bloßen Dokumentationen,
sondern ermöglichen auf einer empathischen Ebene den aktiven, ebenso individuellen Dialog mit der Geschichte. Textfragmente, die sie in ihre Arbeiten einfließen lässt,
verweisen auf das Unausgesprochene und das Verborgene verschiedenster Zeitebenen, die visuell interagieren.
Die Gedichte von Rose Ausländer, Paul Celan, in dieser Ausstellung ebenso Texte von Rafael Alberti und Albert Camus, mit denen Czempik immer wieder
korrespondierende Dialoge führt, stellen eine weitere Dimension ihrer Arbeiten dar. Lyrische Fragmente finden sich in einigen Bildtiteln, Textpartikel
referenzieren Lyrik und Bildräume, eröffnen formale und konzeptuelle Perspektiven und kreisen in den Bildwerken. Die Verschmelzung von Text und
Bild wird zu einer Sprach- und Materialfaltung, die die Grenzen der Darstellung verlassen. Die Gedichte von Celan und Ausländer bieten eine Grundlage für
diese Formensprache, in der Sprache und Material verschmelzen. Carola Czempik fragmentiert bildlich Verse in ihre Rhythmik und Struktur und lässt
diese dann durch die Überlagerungen von Material und Farbe in den Raum
sprechen. Die Arbeiten Czempiks vermitteln eine subtile Radikalität, die sich nicht in spektakulären malerischen Gesten oder formalen Umwälzungen äußert,
sondern in der Erweiterung und Hinterfragung des Bildraums selbst. In ihren Gemälden und Installationen werden die Oberflächen und Schichtungen,
materialisierte Farbe zum Träger einer tiefen Bedeutung. Das Wechselspiel von Fläche und Raum, von Farbe und Textur, von Licht und Dunkelheit, wird zum
Medium, in dem Geschichte und Gegenwart miteinander verwoben werden. So bekommt man den Eindruck, dass ihre Werke lebendige, atmende Dialoge
mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft führen. Sie fordert uns heraus, die Oberfläche zu durchdringen und die verborgenen Schichten des
Wissens und der Erinnerung zu entdecken. In ihrer Malerei finden sich wiederkehrende Motive wie Fragmentierungen, Schichtungen und
Überlagerungen, die nicht nur als formale Elemente der Bildsprache zu verstehen sind, sondern eher als bildnerische Entsprechung der zersplitterten
und individuellen Erfahrungen und Erinnerungen. Malerei und ihre Skulpturen entfalten dabei eine eigene poetische Dimension. Jede Schicht auf der
Leinwand, jedes Material, ist Verweis auf eine Erinnerungsebene, die oft versteckt oder verdrängt ist, aber dennoch immer präsent und durchlässig
bleibt. Ihre Werke sind dabei keine fertigen Antworten, sondern vielmehr eine Einladung, in die Tiefe der Erinnerung und Geschichten einzutauchen.

IV: ... so wechsele ich also seit Jahren von der Malerei zur Fotografie, von der Fotografie zur Grafik, wieder zur Malerei, ohne Konzept, ohne Ziel, aber
jedes Mal hoch- zufrieden, wenn etwas entstanden ist, was so bleiben
kann… (Matthias Körner, 2021)
Wechselseitig intensiv, fast lautlos experimentell, stehen die großformatigen Hinterglasmalereien, die 12 teilige druckgrafische Serie Apostel (Intagliotypie)
und die auf drei Bildschirmen präsentierte Filmcollage Königsland von Matthias Körner zueinander. In den malerischen Werken Matthias Körners verweben sich
persönliche Erinnerungsmomente und universelle Themen mit abstrakten, fast transzendentalen Formen. Dabei entdeckt man wiederkehrende Motive –
Schienen, Leitern, Puppen, Vögel, Behausungen, stille Interieurs und unbestimmte Landschaftsräume, die sich in einem scheinbar semiotischen
System verorten lassen. Seit 2017/18 widmet sich Matthias Körner mit geradezu leidenschaftlicher
Hingabe der Hinterglasmalerei, einer herausfordernden künstlerischen Maltechnik, die von den Künstler:innen der klassischen Moderne bis zum
Bauhaus (Münter, Kandinsky, Macke, Campendonk, Schlemmer) wieder entdeckt und neu interpretiert wurde. Durch Lichtbrechung und Spiegelung des
transparenten Trägermaterials - Glas bzw. Acryl – strahlen die Malereien mit einer fast transzendenten Kraft. Dem traditionellen Verfahren immanent,
entstehen Matthias Körners Bildwerke in einem umgekehrten Malvorgang, indem er Motive spiegelbildlich auf die Rückseite des Glases überträgt – ein
künstlerischer Prozess, der den Bildvordergrund zunächst auf das Glas setzt und mit dem Hintergrund abschließt. Die farbintensiven und leuchtstarken
Eitemperafarben verstärken den Effekt der brillanten und transparenten Wahrnehmung und verschmelzen mit dem Glasträger zu einer Einheit. Jeder
Pinselstrich auf dem Glas wird, bevor er gesetzt wird, sprichwörtlich gespiegelt, ein Arbeitsprozess, indem der Künstler die eigene Wahrnehmung und
Perspektive hinterfragt und herausfordert. „Reduktion“ ist ein wesentliches Merkmal des malerischen Prozesses - was zu viel erscheint, wird rigoros
entfernt, auf dem Glasträger bleibt nur das Wesentliche. Formen, Farben, Linien spiegeln die Konzentration in den malerischen Mitteln und lassen eine geradezu
kontemplative Arbeitsweise des Künstlers erahnen. Malerische Reduktion als ein Akt der Befreiung, ein Entledigen von allem Überflüssigen, das uns von der
wahren Essenz des Lebens abhält. In Matthias Körners Hinterglasmalereien verschwimmen die Grenzen zwischen der Außen- und der Innenwelt, es
entstehen so geheimnisvolle, melancholische „Seelenlandschaften“. Innere Landschaften, die Raum für individuelle Interpretationen und Reflexionen
erlauben und in uns Betrachtern tief resonieren. Sowohl die Endlichkeit, die Zerbrechlichkeit des Daseins als auch der unaufhaltsame Fluss des Lebens,
werden in seinem Bildkosmos thematisiert. Die Auseinandersetzung und selbstkritische Hinterfragung seiner eigenen
Position und Beziehung zur Welt, die er als Künstler darstellt, zeigt sich exemplarisch in der gemeinsamen Arbeit mit dem Fotografen Alexander
Janetzko, die die Lebenswelten Ugandas thematisiert. In Königsland – einer multimedialen Zusammenarbeit, die Fotografien und Hinterglasmalerei vereint
– wird der Kontrast zwischen Natur und Arbeit, Stadt und Land, Tradition und Moderne auf eindrucksvolle Weise sichtbar. Hier korrespondieren die
„Seelenlandschaften“ mit den Lebensrealitäten des ostafrikanischen Landes und versuchen einen virtuosen Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und
Lebensweisen.